1. Individuelle Faktoren: Alter, Nutzung, Haltung
Einleitung
In Europa können Hunde und Katzen von einer Vielzahl verschiedener Helminthen (Nematoden, Zestoden und Trematoden) infiziert werden. Die wichtigsten Spezies werden in den Tabellen 1 und 3 zusammengefasst.
Einige dieser Parasiten haben eine größere Bedeutung als andere aufgrund
- ihrer Prävalenz,
- ihrer Pathogenität für den Wirt,
- ihres zoonotischen Potenzials,
- einer Kombination dieser Gründe.
Ziel dieser für Deutschland adaptierten ESCCAP-Empfehlung ist es, einen aktuellen Überblick über die in Europa relevanten parasitischen Helminthen (Würmer) zu geben sowie einen Schwerpunkt auf ihre Bedeutung innerhalb Deutschlands zu legen. Darüber hinaus werden konkrete Maßnahmen empfohlen, die Infektionen mit diesen Parasiten sowie Erkrankungen bei Tieren und/oder Menschen verhindern oder minimieren sollen.
Diese ESCCAP-Empfehlung umfasst Maßnahmen zur Diagnostik, Prävention, Metaphylaxe und Therapie von Infektionen bei Hund und Katze, Maßnahmen zur Prävention einer Übertragung von Hund und Katze auf andere Tiere oder den Menschen, Maßnahmen zur Reduktion einer Umweltkontamination sowie Hinweise zur Information von Tierhaltern.
Die vorliegende Empfehlung basiert auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Teilweise werden weiterführende Studien notwendig sein, um umfassendere oder konkretere Aussagen zu bestimmten Teilaspekten machen zu können.
ESCCAP sammelt in diesem Sinne weitergehende wissenschaftliche Studien und weist bis zu deren Ergebnissen in der vorliegenden Empfehlung auf noch offene Fragestellungen hin.
Im Sinne der besseren Lesbarkeit dieser ESCCAP-Empfehlung werden im Folgenden unter anderem Helminthen als „Würmer“, Medikamente zur Behandlung gegen Helminthen als „Anthelminthika“ und die Anwendung dieser als „Entwurmung“ bezeichnet.
Je nach Alter, Haltungsform, Ernährung und Nutzung von Hund und Katze müssen Diagnostik, Medikation und Prävention individuell vorgenommen werden. Bestimmte Faktoren können ein intensiveres Monitoring und/oder eine frequentere Entwurmung erforderlich machen, während andere ein weniger intensives Vorgehen rechtfertigen können. Bei der Erstellung des Maßnahmenplans sollten unter anderem folgende Aspekte berücksichtigt werden (siehe auch Tabellen 2 und 4):
Alter, Zucht
Hunde- und Katzenwelpen tragen im Allgemeinen ein höheres Risiko, an parasitären Infektionen zu erkranken und diese zu übertragen, als adulte Tiere.
Gravide Hündinnen können Toxocara canis und laktierende Hündinnen T. canis und den in Deutschland sehr selten vorkommenden Hakenwurm A. caninum auf ihre Welpen übertragen und sich darüber hinaus selbst bei den Welpen infizieren (Superinfektion).
Laktierende Kätzinnen können T. cati auf ihre Welpen übertragen.
Haltungsform, Nutzung
Folgende Hunde- und Katzengruppen tragen ein höheres Risiko als einzeln im Haus gehaltene Kleintiere:
Hunde und Katzen in Zwingern/Katzenzuchten oder Tierheimen, Individuelle Faktoren: Alter, Nutzung, Haltung, Ernährung und Reisen
im Freien lebende Hunde und Katzen sowie solche, die unbeaufsichtigten Auslauf haben,
Hunde und Katzen, die gemeinsam mit anderen Tieren gehalten werden,
Jagdhunde.
Ernährung
Hunde und Katzen mit Zugang zu wilden Nagetieren, Mollusken, rohem Fisch oder rohem Fleisch einschließlich Viszera, Kadavern und nicht ausreichend erhitzten oder gefrorenen Schlachtabfällen haben ein höheres Risiko als andere Tiere.
Wohnort und Reisen
Tiere, die in endemischen Regionen leben oder diese besuchen (z. B. Urlaub, Tierpensionen, Hunde- undKatzenausstellungen, Leistungsprüfungen etc.), tragen ein erhöhtes Risiko, sich mit den in diesen Regionen endemischen Parasiten zu infizieren.
Auf Basis der spezifischen Voraussetzungen eines Tieres sollten Art und Umfang von Diagnostik, Prävention und Medikation im Rahmen unten stehender Empfehlungen individuell ausgewählt werden. Inwieweit die gewählten Maßnahmen für eine Bekämpfung eines Wurmbefalls ausreichend und geeignet sind, klärt sich über eine Diagnostik, anhand derer der Erfolg der Prävention oder Medikation überprüft werden kann.
Rohfleischfütterung (Barfen)
Über rohes Fleisch und Innereien (z. B. Leber, Lunge) können verschiedene Parasiten auf Hunde und Katzen übertragen werden. Dazu zählen unter anderem der kleine Hundebandwurm Echinococcus granulosus, der Einzeller Neospora caninum und bei der Katze auch Sarcocystis spp. sowie der Erreger der Toxoplasmose (Toxoplasma gondii). Wie hoch das Risiko ist, dass sich Hunde und Katzen über rohes Fleisch mit diesen und anderen Erregern anstecken,ist bisher unbekannt. Sicher ist nur, dass es möglich ist und immer wieder vorkommt. Dies heißt jedoch nicht, dass Hunde und Katzen aus parasitologischer Sicht grundsätzlich nicht roh ernährt werden dürfen. Wichtig ist nur, dass das Fleisch vor dem Verfüttern ausreichend tief und lange eingefroren wird, um enthaltene Parasitenstadien sicher abzutöten. Gewährleistet ist dies aber nur, wenn das Fleisch mindestens eine Woche bei -17 ° bis -20 °C tiefgefroren bleibt. Wer nicht weiß, ob das von ihm gekaufte Fleisch diese Voraussetzungen erfüllt, selber kein entsprechendes Einfrieren gewährleisten kann, aber dennoch roh füttern möchte, der sollte bei seinem Vierbeiner alle 6 Wochen eine Kotuntersuchung vornehmen lassen oder aber ihn mit einem gegen Spul- und Bandwürmer wirksamen Produkt entwurmen. Denn: Auch wenn das Risiko einer Ansteckung über rohes Fleisch nicht besonders hoch ist, so können die gesundheitlichen Folgen möglicher Infektionen für Tier und Mensch erheblich sein. Ein Schutz vor über das Barfen übertragbaren Protozoen ist durch die Anwendung von Antiparasitika nicht möglich.